Organhändler-Connection in Warschau 

Sie trafen sich im Hotel Bristol an der Krakowskie Przedmiescie in Warschau. Ali Abdoul Bebehani und Jassem Sabah warteten in der gemütlichen Weinbar auf ihren Gesprächspartner. Hier waren sie mit einem gewissen Wojtek Kowalczyk verabredet, den sie auf Empfehlung eines Geschäftsfreundes aus Dubai treffen wollten. Der international vernetzte Pole könnte ihnen möglicherweise bei der Suche nach verkaufswilligen Spendern für dringend benötigte Organe helfen. Angeblich hatte er sich auf diesen illegalen Handel mit Nieren und Lebern spezialisiert.

 

In wenigen Jahren war aus dem ehemaligen Rettungswagenfahrer in Posen ein vermögender Mann geworden. Was weder Kliniken noch zuständige Organisationen vermochten, machte er meistens innerhalb von maximal 48 Stunden möglich. Der 40-jährige Junggeselle verfügte über ein weitreichendes osteuropäisches Netzwerk. Es bestand aus Frauen und Männern im Alter von 20 bis 50 Jahren. Diese größtenteils sozial schwachen Menschen waren überwiegend in akuter Geldnot und daher bereit, eine Niere oder einen Teil ihrer Leber für ein relativ bescheidenes Honorar zu verkaufen. Den größten Anteil des Kaufpreises steckte sich dabei der Vermittler in die eigene Tasche. Die ungewöhnliche Geschäftsidee kam Wojtek Kowalczyk unmittelbar nach dem Tod seiner schwer leidenden Mutter. Sie hatte nach einer mehrjährigen Niereninsuffizienz und Dialyse vergeblich auf ein Ersatzorgan gewartet.

 

Die beiden arabischen Geschäftspartner hatten nach dem Tipp aus Dubai keine Zeit verloren und gleich in Warschau angerufen. Heute um 17:00 Uhr wollten sie sich in dem Fünf-Sterne-Hotel im Herzen der polnischen Hauptstadt persönlich kennenlernen. Obgleich sie ausgiebig im Internet nach Informationen über den vielversprechenden Kontakt suchten, konnten sie nichts über ihn finden. Ihr künftiger Lieferant war wie ein unbeschriebenes Blatt, der seine Geschäfte mit großer Diskretion im Hintergrund machte und jede Art von öffentlicher Werbung vermied. Dafür nahm er es mit der Zeit nicht so genau und kam über eine halbe Stunde zu spät, ohne sich hierfür zu entschuldigen.

 

Es war noch nicht einmal 18:00 Uhr und Wojtek Kowalczyk hatte bereits sein zweites Glas Wodka geleert. Er war es schon lange gewohnt, auch tagsüber zu trinken. Sein Leben wurde immer wieder von einem hohen Alkoholkonsum bestimmt, der ihn auch seinen früheren Fahrerjob beim polnischen Rettungsdienst gekostet hatte. Seit dem Verlust der Fahrerlaubnis trank er noch mehr und nahm immer weiter an Gewicht zu. Er wog mittlerweile über 120 Kilo bei einer Körpergröße von nur 1,70 Metern und lebte extrem ungesund. Seine Oberarme hatten fast den Umfang eines männlichen Oberschenkels, sein kahler Kopf saß auf einem ebenso voluminösen wie kurzen Hals. Entsprechend schwerfällig waren seine Bewegungen und seine auffallende Kurzatmigkeit wurde von einem pfeifenden Ton begleitet.

 

Die beiden Araber sahen sich irritiert an. Dieser Mann entsprach nun wirklich nicht ihren Vorstellungen von einem Partner für ein so delikates Geschäft. Aber nachdem sie sich schon mal die Mühe dieser Reise gemacht hatten, wollten sie sich nun auch nicht zu sehr von einem äußeren Erscheinungsbild beeinflussen lassen und hofften, ihren ersten Eindruck in dem Gespräch korrigieren zu können. Nach Aussagen ihres Freundes musste dieser Kowalczyk eine absolute Koryphäe auf seinem Gebiet sein. Und nur darauf kam es an.

 

Während sich ihr Gast ungeniert den dritten Wodka bestellte, beendete Ali Abdoul Bebehani das bisherige Geplänkel und kam auf den eigentlichen Grund ihrer Zusammenkunft zu sprechen. Die Männer verständigten sich mit dem Polen auf Englisch. »Uns haben mehrere Patienten vornehmlich in den Emiraten und in Saudi-Arabien beauftragt, ihnen möglichst sehr schnell eine neue Leber oder Niere zu beschaffen. Sie sind schwerkrank und haben akuten Bedarf. Diese Menschen verfügen über alle finanziellen Möglichkeiten, um sich über unsere Organisation die bekanntlich sehr langen Wartezeiten auf den offiziellen Listen für gespendete Organe zu verkürzen.«

 

Der Pole winkte ungeduldig ab. »Ja, ja, ich weiß doch genau, worum es geht. Sie suchen für Ihre Auftraggeber geeignete Organspender, die einen Teil ihres Körpers zu verkaufen bereit sind. Wir reden über ein kostspieliges Geschäft und nicht über eine freiwillige Gabe. Diese Menschen nehmen große Opfer auf sich und haben nichts zu verschenken. Keine Sorge, ich verfüge über die erforderlichen Kontakte und kann Ihren Bedarf gewiss auch abdecken. Sofern Sie natürlich bereit sind, meine Preise und Bedingungen zu akzeptieren. Ohne Handel und Diskussionen. Na Zdrowie.« Mit einem kräftigen Schluck hatte der Pole auch das dritte Glas Wodka in sich hineingekippt.

 

Jassem Sabah schaltete sich ein. »Gut, dann sollten wir keine weitere Zeit verlieren. Bitte nennen Sie uns ihre Konditionen, Herr Kowalczyk.«

Der Geschäftsmann hatte das leere Glas noch nicht abgestellt und mühte sich, seine Sitzposition auf dem für ihn etwas schmalen Sessel zu korrigieren. »In meinem Business gibt es keine offizielle Preisliste. Ich berechne für jede erfolgreiche Vermittlung zwischen 200.000 und 250.000 Euro. Der Preis staffelt sich nach dem Alter der Spender. Je jünger, umso teurer. Das sind die Regeln. Für diesen Betrag liefere ich frei Haus. Meine Kandidaten bringen selbstverständlich die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Transplantation mit. Einschließlich der ärztlichen Bescheinigungen über ihren aktuell einwandfreien Gesundheitszustand. Meine Spender haben unauffällige Laborwerte und eine blitzsaubere Krankengeschichte.«

 

Jassem Sabah hakte nach. »Was genau meinen Sie mit erfolgreicher Vermittlung?« Der Pole hatte diese Frage erwartet. »Wenn es aus irgendwelchen Gründen, die weder der jeweilige Spender noch ich zu verantworten haben, nicht zu einer Transplantation kommen sollte, erstatte ich Ihnen 70 Prozent der gezahlten Summe. Die 30 Prozent sind mein Kostenanteil und natürlich auch eine angemessene Entschädigung für den Spender.« Das war eine klare Ansage. »Und was meine weiteren Bedingungen betrifft, so steht bei mir totale Anonymität an oberster Stelle. Ich spreche nur mit Ihnen. Also weder mit anderen Personen aus Ihrer Organisation und schon gar nicht direkt mit Ihren Auftraggebern. Wenn wir ins Geschäft kommen, erhalten Sie von mir ein spezielles Telefon mit einer Nummer, die ich nur für Sie einrichte. So handhabe ich es mit allen Geschäftspartnern. Wir können also jederzeit direkt sprechen. Fast rund um die Uhr und an allen Tagen. Ich bin immer erreichbar. Nur zwischen Mitternacht und 06:00 Uhr morgens schlafe ich und höre nichts.«


 

© 2024 Michel Rodzynek. Alle Rechte vorbehalten. 

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